Neutralität mit Haltung und Verantwortung – Gedanken zum Nationalfeiertag 2025
24.10.2025
Der 26. Oktober ist ein Tag, der uns alle verbindet – über Generationen, über Regionen, über politische Unterschiede hinweg. Es ist der Tag, an dem wir uns erinnern, wer wir als Österreicherinnen und Österreicher sind, woher wir kommen – und wohin wir gemeinsam gehen wollen.
An diesem Tag vor 70 Jahren wurde unsere immerwährende Neutralität beschlossen. Sie war und ist ein Bekenntnis zu Frieden, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Und sie ist bis heute ein zentraler Bestandteil unserer österreichischen Identität. Unsere Neutralität bedeutet, dass Österreich sich nicht an militärischen Bündnissen beteiligt, in denen eine automatische Kriegsverpflichtung besteht, und dass auf österreichischem Boden keine fremden Truppen dauerhaft stationiert sind.
Diese Neutralität hat uns in den vergangenen Jahrzehnten viel gebracht: Schutz und Sicherheit, Stabilität und Glaubwürdigkeit – und das Vertrauen vieler Menschen in der Welt, dass Österreich ein verlässlicher Partner ist, ein Ort des Dialogs, ein Land des Ausgleichs – ein Friedensstifter. Doch wir leben heute in einer Zeit, in der sich vieles verändert. In einer Welt, in der der Krieg wieder nach Europa zurückgekehrt ist. Der brutale russische Angriff auf die Ukraine hat uns schmerzhaft vor Augen geführt, wie zerbrechlich Frieden ist – und wie gefährlich Gleichgültigkeit sein kann.
Ich spüre – wie viele von Ihnen – eine tiefe Sorge, wenn ich sehe, was in unserer Nachbarschaft geschieht. Und gleichzeitig empfinde ich Dankbarkeit dafür, in einem Land zu leben, das seit Jahrzehnten Frieden kennt. Aber Frieden ist kein Zufall. Frieden ist eine Aufgabe. Eine Aufgabe, die wir alle gemeinsam tragen.
Neutralität ist kein Rückzug, sondern Verantwortung
Neutralität bedeutet für mich daher nicht, die Augen zu verschließen, wenn Unrecht geschieht. Sie bedeutet nicht, still zu bleiben, wenn Gewalt, Unterdrückung oder Krieg Menschenleben zerstören. Neutralität bedeutet für mich Verantwortung – Verantwortung für den Frieden, für den Dialog, für humanitäre Hilfe. Sie bedeutet, Haltung zu zeigen, wo andere schweigen. Sie bedeutet, wenn möglich Brücken zu bauen, wo Mauern entstehen. Und sie bedeutet, unsere Werte zu verteidigen – mit Mut, mit Weitblick und mit Entschlossenheit. Neutralität ist kein bequemes Zurücklehnen. Ganz im Gegenteil: Sie ist ein aktives, wehrhaftes Bekenntnis zu dem, was uns wichtig ist: Menschlichkeit, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Kärnten – gelebte Vielfalt und Brücke zwischen den Kulturen
Gerade hier in Kärnten wird deutlich, was es heißt, in Frieden und Vielfalt zu leben. Wir sind seit dem EU-Beitritt Österreichs kein Grenzland mehr. Wir sind ein Land der Begegnung und Vielfalt im Herzen Europas. Menschen unterschiedlicher Sprachen, Kulturen und Traditionen leben hier Seite an Seite – und das in Respekt vor einem immer weiter wachsenden und trotzdem – mit Blick auf die jüngsten Vandalenakte um zweisprachige Ortstafeln sowie die Eskalation im Rahmen eines Polizeieinsatzes am Peršmanhof- fragilen Zusammenhalt.
Das war nicht immer selbstverständlich. Die Geschichte Kärntens lehrt uns, wie viel Mut, Geduld und Offenheit nötig sind, um Verständigung zu erreichen. Doch sie zeigt auch: Versöhnung ist möglich. Zusammenhalt ist stärker als Spaltung. Diese Erfahrung Kärntens ist auch ein Stück Österreich. Sie ist unser Beitrag zu einem Europa, das auf Kooperation und Vertrauen aufbaut – nicht auf Misstrauen und Angst.
Neutralität neu denken – europäisch, solidarisch, menschlich
Ich bin überzeugt: Die Zukunft unserer Neutralität liegt in einer aktiven, solidarischen und europäisch eingebetteten Sicherheits- und Friedenspolitik. Das bedeutet:
Wir stehen fest an der Seite unserer europäischen Partner. Wir verteidigen unsere gemeinsamen Werte, und wir leisten unseren Beitrag zur Friedenssicherung.
Wir müssen unsere Neutralität nicht aufgeben, um sie an die neuen Anforderungen anzupassen und zu erneuern. Wir müssen sie mit neuem Leben erfüllen – mit einem klaren Bekenntnis zu Mitmenschlichkeit, Gerechtigkeit und internationaler Zusammenarbeit. Und, mit einem klaren Bekenntnis zur Sicherung unserer Wehrhaftigkeit, einem klaren Bekenntnis dazu, im Rahmen unserer eigenen und im Rahmen unserer europäisch-partnerschaftlichen Möglichkeiten, alles zu tun, um Österreich und die hier lebenden Menschen vor leider nicht mehr gänzlich auszuschließenden Angriffen zu schützen.
Wer sich dazu, wer sich zum Schutz Österreichs bekennt, der muss sich auch zu diesen Schutz erst ermöglichenden Partnerschaften bekennen. Partnerschaften wie sie sich ua in der viel diskutierten und leider innenpolitisch zu oft missbrauchten Initiative „Sky Shield“ abbilden. In aller Deutlichkeit: Sky Shield ist für den Schutz der österreichischen Bevölkerung unverzichtbar! Das habe ich in vielen Gesprächen mit hochrangigen Experten und Verantwortungsträgern ua in Brüssel bestätigt bekommen.
Warum ist Sky Shield für Österreich wichtig?
Die Initiative Sky Shield ist ein gemeinsames europäisches Projekt, bei dem mehrere Staaten – darunter auch neutrale wie die Schweiz – zusammenarbeiten, um ein modernes Schutzsystem gegen Bedrohungen aus der Luft aufzubauen. Konkret heißt das: Es geht um Abwehr von Drohnen, Marsch- oder Flugkörpern, also Technologien, mit denen Angriffe über große Entfernungen oder per Lufttechnik erfolgen können. Bedrohungen, die nicht an nationalen Grenzen, die nicht vor Österreich und Kärnten haltmachen! Wenn eine Rakete oder Drohne in oder auch außerhalb Europas gestartet wird, kann sie im schlimmsten Fall auch uns treffen. Wir allein besitzen nicht die Ressourcen – weder finanziell, personell noch technologisch –, um uns gegen alle modernen Bedrohungen vollständig abzuschotten. Eine Partnerschaft wie Sky Shield bedeutet also: Wir teilen Verantwortung, wir bündeln Mittel und wir erhöhen unseren Schutz und unsere Sicherheit gemeinsam.
Die EU hat diese Notwendigkeiten erkannt und stellt dafür auch die für eine solidarisch-wehrhafte Europäische Union notwendigen finanziellen Mittel bereit – der passende Name des entsprechenden Programms: SAFE.
Was ist das SAFE-Programm und was bringt es uns?
Das SAFE-Programm (Security and Action for Europe) ist ein groß angelegtes Förder- und Investitionsinstrument in Europa, mit dem gemeinsame Beschaffungen von Verteidigungsgütern, Systemen und Technologien gefördert werden. 150 Milliarden Euro sind dafür vorgesehen.
Für Österreich heißt das konkret:
- Wir haben die Möglichkeit, im Rahmen dieses Programms gemeinsam mit anderen Staaten Systeme zu beschaffen – z. B. Luftverteidigung, Munition, Drohnentechnologie, Cyberabwehr, Schutz kritischer Infrastruktur.
- Auch unsere heimische Industrie kann davon profitieren: Österreichs Industrie mit rund 11.000 Beschäftigten im Verteidigungsbereich und einem Umsatz von etwa 3 Milliarden Euro jährlich hat bereits wichtige Komponenten wie Präzisions-Technik, Optik, Sensorik, Munition oder Fahrzeugbau beizusteuern.
- Wenn Österreich also an SAFE teilnimmt, bedeutet das auch Aufträge für unsere Industrie, werden Arbeitsplätze gesichert, Forschung und Entwicklung – auch für den zivilen Bereich - vorangetrieben, wirtschaftliche Impulse gesetzt – im Sinne von Sicherheit und Wohlstand zugleich.
Unsere Neutralität bleibt dabei intakt. Mitmachen heißt nicht: Wir verpflichten uns zu Angriffskriegen oder setzen ausländisches Militär dauerhaft in Österreich ein. Es heißt vielmehr: Wir übernehmen Verantwortung – und zwar gemeinsam mit unseren europäischen Partnern.
Das ist ein modernes Verständnis davon, was Neutralität heute bedeuten muss: nicht Abkehr vom Schutz, sondern ein Auftrag zum Schutz. Denn: Österreich alleine könnte im Ernstfall nicht die modernen Fähigkeiten aufbauen, die nötig sind, um unsere Bevölkerung alleine zu schützen. Gemeinsam sind wir stärker. Kooperation heißt nicht Schwäche, sondern kluger Einsatz unserer Potenziale.
Mein Appell:
Ich rufe daher alle – politisch Verantwortlichen, unsere Industrie, unsere Zivilgesellschaft – auf, diesen Weg mitzugehen. Wir müssen die Chancen nutzen: für unseren Schutz, für unsere Sicherheit, für unsere Werte, für unsere Arbeitsplätze, für Österreich, für Kärnten. Unsere Neutralität ist ein wesentlicher Teil österreichischer Geschichte – und sie darf nicht als Ausrede dienen, wenn es um den Schutz unserer Heimat geht.
Verstehen wir diesen Nationalfeiertag nicht nur als Tag des Rückblicks, sondern als Tag des Nachdenkens und des Neubeginns. Ich bin überzeugt, dass unser Land, unsere Demokratie und unsere Neutralität stark bleiben – wenn wir sie gemeinsam tragen, verteidigen und weiterentwickeln. Frieden, Freiheit und Solidarität sind keine Selbstverständlichkeiten. Sie sind das Ergebnis von Mut, Haltung und täglichem Engagement.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen einen besinnlichen, stolzen und hoffnungsvollen Nationalfeiertag. Möge dieser Tag uns daran erinnern, wie kostbar Frieden ist – und wie viel er uns allen bedeutet.
Ihr
Peter Kaiser
Landeshauptmann von Kärnten


